Hier schreiben Hobbydichter für Lyrik-Freunde – meist Gereimtes und nur Druckreifes! Willkommen also, viel Vergnügen mit unseren Gedichten und deren Bebilderung!

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Bereits seit Jahresbeginn bringen wir neue Folgen an Kalenderblättern und Monatsbildern. Darum herum dann das, was sich an Einfällen so ergibt – man wird sehen! Nun ja, was man auch sieht: wir "unterschlagen" seit einer ganzen Weile auch einen gewissen Anteil an sanfter Erotik nicht länger - die Zeiten sind eben so ...

Wir teilen den Lesern unseres Versbildners mit und bitten um Verständnis, dass wir auch weiterhin das monatliche Angebot auf 6 Beiträge beschränken - die Kontaktarmut dieser Zeit bringt leider auch eine gewisse Ideenarmut mit sich. Neueinstellungen erfolgen damit um die Kalendertage des 1., 6., 11., 16./17., 21./22., 25.-27. eines Monats.

Samstag, 10. Juni 2017

Mundart-Verse (3) – Moselfränkisch (Jean-Louis Kieffer als Gast)

Notabene: Fortsetzung der losen Folge von Gedichten, die ihre Verfasser/Innen in Mundart schreiben. Der Begriff mag für Sprachwissenschaftler etwas unscharf sein – hier steht er für Gedichte, die man in solcher "Würze" nur in "Regionalsprachen" findet. Auch sind sie den formalen poetischen Auflagen durch das Hochdeutsche weit weniger (oder nicht) verpflichtet.
Für Unkundige, die gar manches Mal "begriffsstutzig" sein würden, gibt es im Fall der Fälle eine hochdeutsche Übertragung (wenn gereimt, in dabei üblichen Akzent- oder Knittelversen).

Bouzonville (Busendorf), Dép. Moselle, Frankreich: Niedwehr an der Abtei Heilig Kreuz
Foto&©: Oktobersonne, 07.11.2015; Quelle: Wikimedia Commons; Liz.: CC-BY-SA 4.0
Jean-Louis Kieffer:
Seine ersten beiden Texte folgen der Anthologie von B. J. Diebner / R. Lehr:
"Deutsche Mundarten an der Wende"; Vlg. Rhein-Neckar-Zeitung, Heidelberg, 1995.
Der dritte Text ist eine Erstveröffentlichung.
Wir übertragen die Verse ins Hochdeutsche – es sind keine Nachdichtungen!
???  "schwätzen" - "verduerf" – "Méschpelter" – "Méscht" – "Schaff"  ???
Jeweils neben den Originalen stehen rechts die Lösungen zu diesen Rätseln!

Wierter for de Wolken (1994)

Wörter für die Wolken

Eich schwätzen en Sprooch
Déi dir im Herz né meh séngt
Un schwätzen se doch for deich

Eich schreiwen en Sprooh
Déi dau nii meh lésen kannscht
Un schreiwen se doch for deich

Eich sammeln Wierter
In all Heftern un Béichern
Mét déi'n dau nii spillen kannscht
Un sammeln se doch for deich

Watt ich machen hatt keen Wéert
Watt ich saan hatt keen Zweck
Un machen un saan et doch
For deich …
                              Mein Kénd.

De Wierter von meiner Sprooch,
wo dau noch lesen kannscht,
awwer Reliquien for déi,
wo noo mir kommen.
Indianerzeechen.
Wierter for de Wolken.

Ich rede eine Sprache,
Die dir im Herzen nicht mehr klingt,
Und rede sie doch für dich.

Ich schreibe eine Sprache,
Die du nie mehr lesen kannst,
Und schreibe sie doch für dich.

Ich sammele Wörter
In solchen Heftern und Büchern,
Mit denen du nie spielen kannst,
Und sammele sie doch für dich.

Was ich mache, hat keinen Wert;
Was ich sage, hat keinen Zweck,
Und mache und sage es doch
Für dich …
                              Mein Kind.

Die Wörter von meiner Sprache,
die du noch lesen kannst,
sind aber Reliquien für dich,
die nach mir bleiben.
Indianerzeichen.
Wörter für die Wolken.


Mei Sprooch és en
          alter Knochen … (1995)
Meine Sprache ist ein
        alter Knochen …

Mei Sprooch és en alter Knochen
Wou keen Hond meh fressen wéll.
En fauler Appel
Verduerf un verfress
Verpickt un verschéss.

Mei Sprooch fault ab,
En drockener Baam
Vom Méschpelter
Erstéckt
Gréin ohne Saft
Ohne Bläder
Ohne Kraft

Mei Sprooch ès en alter Knochen
Werf ehn wech!
En fauler Appel,
Of de Méscht!
En drockener Baam,
Hau ehn rém!

Mei Sprooch fault ab …
"Gott sei Dank"
                              saan déi een,
Déi annern faulen mét.

Meine Sprache ist ein alter Knochen,
den kein Hund mehr fressen will.
Ein fauler Apfel,
Verdorben und zerfressen,
Verschlissen und besudelt.

Meine Sprache verfault,
Ein vertrockneter Baum,
Von den Misteln
Erstickt,
Grün – ohne Saft,
Ohne Blätter,
Ohne Kraft.

Meine Sprache ist ein alter Knochen,
Wirf ihn  weg!
Ein fauler Apfel,
Auf den Mist!
Ein vertrockneter Baum,
Hau ihn um!

Meine Sprache verfault …
"Gott sei Dank"
                              sagen die einen,
Die anderen verfaulen mit (ihr).


Mélchzänn (Erstveröffentlichung)

Milchzähne

Er schwätzt nemeh de Sprooch
                                       von den Alten
Er hat se verluer
Mét seinen Mélchzänn
Sein Kénnersprooch
Schon lang héer.

En nau Sprooch és ehm én der Schoul
                            én den Kopp gewaas
Un nau Zänn én’t Maul
Domét hat er én’t Lewen gebéss
Un de Welt verropt.

Geschter ém alten Schaff
                                    von der Mamma
Engewéckelt én Watt hat er fonn
Fenëff Mélchzänn.

Er leit ém Bett
Un om Naatsdésch ém Glass Wasser
Tonkt sein Gebéss.
Fenëff Mélchzänncher én der Hand
Un neischt meh ém Maul.

Awwer am Ecken von den Leffern
Danzen paar Wierter –
Déi passen zou de Zänncher.

Er spricht nicht mehr die Sprache
                                            der Alten
Er hat sie verloren
Mit seinen Milchzähnen
Seine Kindersprache –
Schon lange her.

Und die heutige Sprache hat er von
          der Schule an im Kopf gehabt
Und die heutigen Zähne im Mund
Mit denen hat er ins Leben gebissen
Und die Welt vereinnahmt.

Gestern, im alten Schrank
                                       von Mama,
In Watte gewickelt, hat er gefunden
Fünf Milchzähne.

Er liegt im Bett
Und auf dem Nachttisch im Wasser-
          Glas / eingetaucht sein Gebiss.
Fünf Milchzähne in der Hand
Und nichts mehr im Mund.

Aber an den Ecken der Lippen
Tanzen ein paar Wörter –
Die passen (noch) zu den Zähnchen.

© Jean-Louis Kieffer
„Mét bescht‘ Gréiss aus em Moselfränkischen Lothringen“ – J.- L. Kieffer.
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Unsere heutiger Gast, Jean-Louis Kieffer, wurde 1948 in Filstroff b. Bouzonville geboren, wo er auch heute noch lebt. Die Gemeinde liegt auf der Breite von Saar­louis, nur etwa 5 km von der Grenze, im deutschsprachigen Département Moselle.

J.-L. Kieffer hat Französisch – wie auch Hochdeutsch – erst mit 6 Jahren erlernt, da seine Muttersprache der germanische Dialekt des "francique mosellan" (also des moselfränkischen Platt) ist – sein Beruf aber war später, bis zur Pensionierung, der eines Französischlehrers am Collège de Bouzonville.
Er ist Gründungsmitglied und Präsident des Vereins "Gau und Griis", der für die Erhaltung der Fränkischen Sprache eintritt. Er war Träger des Preises  "Goldener Schnawwel" beim Mundartwettbewerb des Saarländischen Rundfunks und der Saarbank. 1989 erhielt er den "Grand Prix de la Société des Érivaines d'Alsace et de Lorraine". Er fing 1985 an zu schreiben und hat Veröffentlichungen bei Verlagen am Heimatort, in Saarbrücken, in Metz und in Paris.
In der französischen Wikipedia ist J.-L. Kieffer eine Personal-Website gewidmet.

Wir sind Jean-Louis Kieffer dankbar, dass er uns trotz seiner vielen Verpflichtungen einen Beitrag zu den Mundart-Versen für Versbildner zur Verfügung gestellt hat.
Seine Sprache scheint uns wortgewaltig, ja drastisch, und außerordentlich  beeindruckend; sie ist voller Besorgnis um den Fortbestand des Moselfränkischen!

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